Die Kooperation zwischen Unternehmen und Startups wird gerne als Win-Win-Situation betrachtet. Startups gehen hohe Risiken bei der Entwicklung neuer Ideen und Technologien ein, um Marktlücken zu füllen oder bestehende Marktlösungen substanziell zu verbessern. Unternehmen können durch die Zusammenarbeit mit Startups von dieser Innovationskraft profitieren. Inzwischen ist diese Zusammenarbeit in fast allen größeren Unternehmen ein wichtiger Bestandteil der Innovationsstrategie. Seit kurzem gewinnt dazu der von Gregor Gimmy geprägte Begriff „Venture Clienting“ an Bedeutung.
Venture Clienting bezeichnet die strategische Nutzung von Produkten oder Dienstleistungen eines Startups in frühen Entwicklungsphasen. Der Venture Client erwirbt keine Anteile an dem Startup und schließt auch keine exklusiven Vereinbarungen mit dem Startup ab.
Mais et al. 2023
Spätestens seitdem Venture Clienting auch im Gartner Hype Cycle for Innovation Practices gelistet wird, wurde der Begriff von zahlreichen Beratungen aufgriffen. Dazu gehört üblicherweise der Aufbau einer dedizierten Abteilung im Unternehmen (Venture Client Unit / VCU), die strategische Probleme und Handlungsfelder identifiziert und anschließend systematisch nach Startups sucht, die für diese Problemfelder Lösungen anbieten. Häufig werden dabei Hunderte von Startups gescreent und mit einigen wenigen dieser Startups konkrete Pilotprojekte durchgeführt. Bei einem erfolgreichen Projektverlauf kann es im Anschluss zu längeren Partnerschaften oder finanziellen Beteiligungen kommen. Im Münsterland konnten wir uns schon bei einem Besuch bei Agravis von einem ähnlichen Vorgehen überzeugen.
Der Hype um Venture Clienting
Um es gleich klar zu sagen: Ich halte Venture Clienting für absolut nichts Neues. Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Startups gibt es schon sehr lange – mit Verlaub – auch lange bevor Gregor Gimmy sie mit der BMW Startup Garage praktizierte. Dennoch hat der aktuelle Hype um Venture Clienting etwas Positives. Immer mehr Fach- und Führungskräfte in Unternehmen erkennen die Relevanz dieses Themas. Zudem gibt es eine steigende Anzahl an Forschungsarbeiten und Studien. Eine bekannte Erhebung von GlassDollar identifizierte über 60.000 Partnerschaften zwischen Unternehmen und Startups, davon u.a. jeweils über 300 für BMW, Daimler und Bosch, die hier zu den Vorreitern in Deutschland gehören. Ein Beispiel hierzu ist die Partnerschaft des Startup RIZM mit BMW.
Partnerschaften zwischen Unternehmen und Startups werden aktuell auch dadurch getrieben, dass Startups intensiver nach Kunden suchen müssen als nach Kapital. Dies gilt selbst im B2B-Land in NRW: Ein zentrales Ergebnis der NRW Startup Reports zeigte, dass Vertrieb und Kundenakquise derzeit in allen Gründungsphasen die größten Herausforderungen für Startups sind - weit vor Kapitalbeschaffung und Talentakquise. Die Zusammenarbeit mit einer Venture Client Unit kann genau diese Kundenbeziehung beinhalten. Auch im Digital Hub münsterLAND fokussieren wir uns stark auf diese Anbahnung von Kooperationen zwischen etablierten Unternehmen und Startups. Im Markt erfolgreiche Startups haben dann meistens wenig Probleme Kapital von unabhängigen Risikokapitalgebern zu akquirieren.
Startup-Kooperation und kleinere Unternehmen
Der Fokus in der Diskussion um Venture Clienting liegt bisher vor allem auf großen Unternehmen. In Deutschland erwirtschaften Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitenden ca. 35 Prozent des Gesamtumsatzes. In einem sich schnell verändernden und zunehmend wettbewerbsintensiven Markt wird es für diese mittelständischen Unternehmen und KMU überlebensnotwendig sein, Innovationsfähigkeiten zu entwickeln und effektiv mit anderen Unternehmen, einschließlich Startups, zusammenzuarbeiten. Vermutlich werden die Angebote der großen Beratungshäuser hier kaum helfen, denn weder haben kleineren Unternehmen die Mittel diese Beratungsprojekte zu bezahlen noch ist es sinnvoll, komplette Venture Client Units aufzubauen.
Zu oft bleibt die Zusammenarbeit mit Startups im Mittelstand Theorie oder wird dem Zufall überlassen, was dem strategischen Potenzial dieses Ansatzes nicht gerecht wird. Laut der Studie „Mittelstand meets Startups“ des RKW-Kompetenzzentrums führen nur ein Drittel der Unternehmen konkrete Maßnahmen durch, um in Kontakt mit Startups zu kommen. In der Gruppe der Unternehmen unter 50 Mitarbeitenden haben sogar mehr als 50% der Unternehmen gar keinen Kontakt zu Startups. Trotzdem arbeiteten immerhin 42% der befragten KMU mit einem Startup zusammen oder haben in der Vergangenheit mit einem Startup kooperiert. Das RKW führt die besagte Studie seit dem Jahre 2017 durch und stellt fest, dass sich „der Anteil von Unternehmen, die mit Startups zusammenarbeiten, im beobachteten Zeitraum seitdem nur geringfügig erhöht hat“.
Für kleinere Unternehmen gibt es schon bei der Auswahl der für eine Zusammenarbeit geeigneten Startups besondere Herausforderungen: Großunternehmen unterziehen nicht selten Hunderte von Startups einem Screening und nur mit sehr wenigen Teams kommt es am Ende zu einer Zusammenarbeit. Dieser Prozess ist ressourcen- und entsprechend kostenintensiv. Die Folge ist, dass mittelständische Unternehmen Venture Clienting nicht systematisch umsetzen oder in Kooperationen investieren, die nicht die genügende Passgenauigkeit und somit nicht die gewünschten Erfolge erzielen. Lediglich 16% der KMU haben laut der Studie des RKW-Kompetenzzentrums im Unternehmen eine Position für die Kooperationen mit Startups geschaffen. Damit hängt die Zusammenarbeit an wenigen Entscheidenden, häufig am CEO selbst. Dies bringt allerdings auch Vorteile mit sich, denn die CEOs von Startup und KMU können auf Augenhöhe agieren und schneller zu werthaltigen Vereinbarungen gelangen, die in großen Unternehmen in der Regel viel Zeit in Anspruch nehmen – 12 Monate und mehr sind hier keine Seltenheit.
Drei Wege, wie KMU und Mittelstand erfolgreich mit Startups kooperieren können
Für KMU und mittelständische Unternehmen gibt es einige Wege, die Zusammenarbeit mit Startups zu systematisieren und so zu besseren Ergebnissen zu kommen:
- Zusammenarbeit mit regionalen Netzwerken: In Deutschland gibt es inzwischen weit über 150 regionale Innovationsnetzwerke. Jedes Unternehmen kann in der eigenen Region Unterstützung finden – für KMU meist kostenlos – beispielsweise durch das deutschlandweite Netzwerk der Mittelstand-Digital Zentren. In unserer Region bietet das Mittelstand-Digital Zentrum Lingen.Münster.Osnabrück u.a. eine Begleitung von Praxisprojekten für KMU an. Auch im Digital Hub münsterLAND bringen wir Unternehmen systematisch mit Startups aus unserem NRW-weiten Netzwerk zusammen und können so eine kleine externe Venture Clienting Unit bilden.
- Die Zusammenarbeit mit einem Dienstleister im Bereich Company und Venture Building kann helfen, kritische Ressourcen in der Pilotphase einer Zusammenarbeit zu ergänzen. Dies erfordert zwar zusätzliches Budget, sorgt aber für ein professionelles Aufsetzen des Projektes. Dieses Vorgehen ist insbesondere dann empfehlenswert, wenn es sich um eine Entwicklungspartnerschaft handelt, die über eine reine Lieferanten- oder Kundenbeziehung hinaus entwickelt werden soll. Im Fall von KMU besteht zudem die Chance, staatlicher Förderung für diese Projekte zu erhalten, z.B. mit dem IGP-Programm des BMWK.
- Kleine (Branchen-)Messen eignen sich ideal für mittelständische Unternehmen, um Kontakt zu Startups aufzunehmen. Auf vielen Messen gibt es inzwischen eigene Bereiche für innovative Geschäftsmodelle oder Pitch-Bühnen, auf denen Startups in kurzen Präsentationen ihre Geschäftsmodelle und Optionen zur Zusammenarbeit vorstellen können. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen tabya und bps software, die sich immer wieder auf Messen der Baubranche getroffen haben.
Fazit: Auch wenn sich nicht alle Zielkonflikte auflösen lassen, lässt sich zusammenfassend sagen, dass Venture Clienting auch für kleinere Unternehmen umsetzbar ist. Die Partnerschaften sind ohne Equity-Investment und mit Unterstützung durch externe Netzwerke und staatliche Förderungen auch mit einem relativ kleinem Projektbudget möglich. Auch aus Sicht der Startups bietet die Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen besondere Vorteile und kann schnell zu nachhaltigen Partnerschaften und Kundenbeziehungen führen. Wenn der aktuelle Hype um Venture Clienting dazu beiträgt, mehr Unternehmen aus dem Mittelstand für die Zusammenarbeit mit Startups zu sensibilisieren, schließen wir uns diesem also sehr gerne an.